Seite 19 / Süddeutsche Zeitung Nr. 270 FEUILLETON Montag, 22. November 1999

Aus. Ende. Punkt.

 

In Berlin zu sehen: Bauhaus-Druckgrafik der zwanziger Jahre. VON ULRIKE BALS

con-text ideenlabor | Textarchiv | Aus. Ende. Punkt.

Ein Punkt ist ein nützliches Satzzeichen. Er markiert die Unterbrechung, das Nichtsein - und schlägt zugleich eine Brücke von einem Sein zum anderen. Doch was geschieht, wenn man ihn aus seinem gewohnten Zusammenhang reißt? Aller Zweckmäßigkeit beraubt, verwandelt sich das stumme Zeichen in ein sprechendes Symbol. Der Punkt als Selbstzweck wird zur Kunst - mit einem ihm eigenen, inneren Klang. Wenn es gelänge die gewohnte Sicht der Dinge zu durchbrechen - überlegte sich der russische Maler Wassily Kandinsky - könnte man die Welt zum klingen bringen. Davon war der Begründer der abstrakten Malerei überzeugt, als er 1922 seiner Berufung an das erst drei Jahre zuvor in Weimar gegründete Bauhaus folgte. Seine systematische Analyse der Elemente und Techniken der Malerei, die er 1926 in seinem Buch "Punkt und Linie zu Fläche" zusammenfasste, hat seither die Lehrmethodik des Bauhauses maßgeblich geprägt.

Es ist also kein Zufall, wenn sich das Bauhaus zum Jubiläum des 80. Gründungsjahres mit der Ausstellung "Punkt. Linie. Fläche." seiner künstlerischen Druckgrafik der frühen Zwanziger erinnert. Auch wenn sich das Bauhaus nie als Kunstschule im herkömmlichen Sinne verstand (denn "Kunst allein" sei nicht lehrbar, heißt es 1919 im Gründungs-Manifest), war die rein künstlerische Druckgrafik doch eine der ersten Disziplinen, die überhaupt am Bauhaus unterrichtet wurde. Mit unglaublicher Treffsicherheit hatte Walter Gropius ausschließlich Künstler der Avantgarde an die Spitze seiner Schule berufen. Welches schöpferische Potenzial hier in einer kunstgeschichtlich einzigartigen Konstellation nach neuen Ausdrucksformen und Techniken suchte, dokumentieren die jetzt erstmals im Berliner Bauhaus-Archiv gezeigten Mappenwerke und zahlreichen Einzelblätter der Bauhaus-Meister Lyonel Feininger, Paul Klee, Gerhard Marcks, László Moholy-Nagy, Georg Muche, Oskar Schlemmer, Lothar Schreyer und natürlich Kandinsky.

Den Anfang der seit 1921 in der druckgrafischen Werkstatt produzierten Zyklen und Mappenwerke bildeten Feiningers herausragende "Zwölf Holzschnitte". 1922 folgten Kandinskys farbige "Kleine Welten", die als einer seiner wichtigsten druckgrafischen Serien den Übergang von der expressiven zur abstrakten Werkphase seiner Bauhausjahre festhalten. Daneben wirkt die ein Jahr später produzierte Folge Marcks zum "Wielandslied der älteren Edda" völkisch grob. Verglichen mit seinen früheren Arbeiten, wie "Mondnacht" oder "Im Kuhstall" haben die zehn Holzschnitte an Raffinesse und Humor verloren. Wie erfrischend erscheinen dagegen Georg Muches "Ypsilons", bizarre Radierungen fantastischer Maschinen.

Die zwischen 1919 und 1925 in der Druckerei der Weimarer Schule hergestellten Grafiken überraschen mit ihrer stilistischen Vielfalt. Klingende Welten, in denen die unterschiedlichsten künstlerischen Strömungen der Zeit friedlich koexistieren. Etwa der Konstruktivismus Moholy-Nagys neben Kandinskys abstrakter Dramatik oder dem Expressionismus der kristallinen Architekturen Feiningers. Dazu zählt auch jener berühmte Holzschnitt einer von emporsteigenden Lichtbündeln getragenen "Kathedrale der Zukunft", die Feininger 1919 - als Sinnbild eines neuen universalen Kunstverständnisses - zur Illustration des Bauhaus-Manifestes schuf.

Auch das nun erstmals ausgestellte grafische Schaffen der Bauhaus-Schüler begnügt sich keineswegs mit dem Plagiieren der Meister, sondern zeigt selbstbewusst eigene Handschriften, wie etwa Johannes Zabels äußerst reduzierte "Kirche", Heinrich Konrads skurriler Leuchtfisch oder Paul Citroens melancholisches Mädchen "Im Café".

Dass die Idee des Bauhauses auch internationale Unterstützung fand, belegt das ehrgeizige Projekt des fünfteiligen Mappenwerks "Neue Europäische Grafik". Durch Schenkung eigener Werke demonstrierten deutsche, italienische und russische Künstler ihre Solidarität für das damals bereits politisch gefährdete Bauhaus. Nur die französische Mappe blieb weitgehend ein Fragment. Dennoch ist der repräsentative Querschnitt dieser Sammlung europäischer Grafiken einzigartig. Von Beckmanns "Ringkampf" über Marc Chagalls "Selbstbildnis mit Frau" und Alexei von Jawlenskys minimalistisch skizziertem "Kopf" bis zu Enrico Prampolinis "Figur in Bewegung" sind nahezu alle wichtigen Künstler der Avantgarde vertreten.

Etwas blaß wirkt dagegen die Gebrauchsgrafik der Weimarer Jahre. Ihre Zeit sollte erst noch kommen: mit dem Umzug des Bauhauses 1925 nach Dessau. Für die künstlerische Druckwerkstatt bedeutete dies allerdings das Ende. Sie wurde für immer geschlossen. Vor dem finanziellen Fiasko hatte sie auch die europäische Avantgarde nicht bewahren können. ULRIKE BALS

Bis 27. Februar im Bauhaus-Archiv Berlin. Der Katalog (mit 350 zum Teil farbigen Abbildungen) kostet 49 Mark.

 

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