Kultur / taz hamburg. Mittwoch, 22. September 1999

Vergiftetes Leben

 

VON ULRIKE BALS

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Wächserne Starre liegt auf dem Frauengesicht. Ein düsteres Relief in Rot und Braun. Nichts Erhellendes ist in dem Licht, das die Malerin mephistophelisch auf sich selbst richtet. Das "Selbstporträt und ein Schatten" von 1931 wirkt wie der Negativabdruck eines Leichentuches. Nur die Augen leben. Versunken in den Höhlen lauern sie wie Tiere. Gelbgrün, stechend, fragend. Als forderten sie, unter dem Sichtbaren eine tiefere Wahrheit zu ergründen.

Die expressionistische Malerin Elfriede Lohse-Wächtler hat der Nachwelt ein zwiespältiges Erbe hinterlassen. Dem herausragenden künstlerischen Werk steht eine traurige Biografie gegenüber. Die Geschichte eines leidenschaftlichen, gescheiterten und nach und nach enteigneten Menschen. Mit einer Retrospektive gedenkt jetzt das Altonaer Museum der zu Unrecht vergessenen und von den Nazis ermordeten Künstlerin. Nur ein Bruchteil ihres Werkes hat den Krieg überstanden.

Anna Frieda Wächtler wird 1899 in Dresden-Löbtau geboren. Sie studiert an der Königlichen Kunstgewerbeschule Mode und angewandte Grafik. Mit 17 Jahren verlässt sie ihr Elternhaus und beginnt unter dem Pseudonym Nikolaus Wächtler ein Leben als freie Künstlerin. Ihr Dresdner Atelier wird zum Treffpunkt eines illustren Künstlerkreises. "Laus", wie die Freunde sie nennen, ist eng verbunden mit Conrad Felixmüller, Otto Dix, Raoul Hausmann und Johannes Baader. Pfeiferauchend, mit Hut und kurz geschnittenem Haar, so skizziert sie der befreundete Maler Griebel.

1921 heiratet sie den Dix-Freund, Maler und Opernsänger Kurt Lohse, einen flatterhaften Dandy. Die künstlerische Arbeit gedeiht; die Partnerschaft, ohnedies von heftigen, zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt, leidet jedoch. Als Lohse 1925 ein festes Theaterengagement erhält, ziehen sie nach Hamburg. Im Herbst 1926 kommt es zum endgültigen Bruch.

Trotz erster Ausstellungserfolge verarmt Elfriede Lohse-Wächtler in den folgenden zwei Jahren so sehr, dass sie mehrfach auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen ist. Zudem mehren sich erste Anzeichen paranoider Wahnvorstellungen. Im Frühjahr 1929 erleidet sie einen schweren Nervenzusammenbruch. Den folgenden zweimonatigen Aufenthalt in der Hamburger Staatskrankenanstalt Friedrichsberg empfindet sie als Qual. Gleichzeitig entwickelt sie einen enormen Schaffensdrang. Unermüdlich porträtiert sie die Mitpatientinnen. Doch wahrt sie dabei stets die Distanz der unbeteiligten Chronistin.

Als sie die sogenannten Friedrichsberger Köpfe nach ihrer Entlassung erstmals im Hamburger Kunstsalon Maria Kunde zeigt, erhält sie begeisterte Kritiken. Es folgen in kurzen Abständen mehrere erfolgreiche Ausstellungen. Der geringe Erlös aus den wenigen Verkäufen reicht allerdings nicht aus, ihre Existenz zu sichern.

Ihre innere Unruhe treibt sie zu nächtelangen Streifzügen durch St.Pauli. Ihre Bilder aus dem Halbwelt-Milieu sind von geradezu obsessiver Eindringlichkeit. Verblüffend, wie sie den kruden Szenen mit hauchzartem Pastell begegnet. Der exzessive Lebenswandel hinterlässt Spuren in ihrem Gesicht, dokumentiert in schonungslosen Selbstporträts: eine Galerie vielfach gebrochener Spiegelungen ihrer Persönlichkeit. Elfriede Lohse-Wächtler wird obdachlos und übernachtet mehrere Monate auf der Straße und in Bahnhofswartehallen.

Physisch und psychisch erschöpft, kehrt sie 1931 zurück zu ihren Eltern nach Dresden. Ängste und Zwangsvorstellungen beginnen ihre immer surrealeren Sujets zu bestimmen. Es sind zugleich ihre stärks-ten Bilder: roh, elementar und technisch ausgereift. Eine Fußverletzung zwingt Elfriede Lohse-Wächtler im März 1932 zum Aufenthalt im Stadtkrankenhaus. Am 17. Juni überweist man sie direkt in die Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf, die Diagnose lautet Schizophrenie. Noch bis 1935 genießt sie das Privileg des freien Ausgangs. Sie zeichnet und unternimmt Ausflüge. Doch dann greift der giftige Atem der Zeit auch auf Arnsdorf über.

Am 10. Mai wird Kurt Lohses Antrag, die Ehe "wegen unheilbarer Geisteskrankheit" zu scheiden, vom Preußischen Landgericht Altona stattgegeben. Elfriede Lohse-Wächtler wird entmündigt und nach dem nationalsozialistischen "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" am 20. Dezember 1935 zwangssterilisiert. Ihre Persönlichkeit ist gebrochen, die künstlerische Kraft versiegt. Am Vormittag des 31. Juli 1940 besteigt sie einen graugrünen Bus mit zugeklebten Fensterscheiben. Die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein ist ihre letzte Station. Dort wird sie mit 13.720 anderen "lebensunwerten Leben" in der Euthanasie-Aktion T4 vergast.

Am 12. August 1940, so der offizielle Bescheid, verstarb Elfriede Lohse-Wächtler an einer Lungenentzündung mit Muskelschwäche, "trotz aller Mühen der Ärzte, die Patientin am Leben zu erhalten".

bis 26. September, Di - So 10 - 18 Uhr, Altonaer Museum 

 

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